3.1. Übersicht der einzelnen Qualifikationsthesen
Insgesamt gibt es 5 unterschiedliche Wirkungsweisen
von neuen Technologien, die im Folgenden näher erörtert
werden:
- Neutralitätsthese
- Dequalifizierungsthese
- Höherqualifizierungsthese
- Polarisierungsthese
- Annäherungsthese
3.1.1. Neutralitätsthese
Diese These besagt, dass der technische Fortschritt
keine Auswirkungen auf die Qualifikationsanforderungen des einzelnen
Mitarbeiters hat. Diese Idee lässt sich in der Realität
nicht nachweisen und wird hier nur der Vollständigkeit halber
aufgeführt, aber nicht weiter diskutiert.
3.1.2. Dequalifizierungsthese
Intelligente Steuerungen sorgen dafür, dass der
Arbeiter zum einfachen Maschinenbediener degradiert wird. Facharbeiterqualifikationen
werden nicht mehr benötigt, da die Arbeit sehr stark vereinfacht
wird und sich vorwiegend auf „Knöpfe drücken“
und einfache Überwachungstätigkeiten beschränkt.
Da die neuen, komplizierten Maschinen entwickelt, gebaut
und später während des Betriebs gewartet werden müssen,
stellt diese These einen sehr vereinfachten Blick auf die komplexe
Wirklichkeit dar. Eine reine Dequalifizierung lässt sich empirisch
nicht belegen.
3.1.3. Höherqualifizierungsthese
Hier wird die Meinung vertreten, dass neue Technologien
im Durchschnitt zur Höherqualifizierung des Arbeiters führen,
da einfache Tätigkeiten automatisiert werden und der Arbeitsschwerpunkt
auf die Überwachung und Einrichtung der neuen, komplexen Maschinen
verlagert wird.
Die seit den 80er Jahren belegbare zunehmende Nachfrage
nach qualifizierter Arbeit führen Berman, Bound und Griliches
(1994) auf den arbeitssparenden technischen Fortschritt zurück
und weisen dabei auf die positive Wechselbeziehung zwischen der
Qualifikationszunahme und der Ausgabe für Computer und FuE
hin.
Diese These wird u.a. durch Bartel und Lichtenberg
1987, Bartel und Sichermann 1995, Höflich-Häberlein 1989,
Mincer 1989 empirisch belegt. In Kapitel 4 wird eine Studie auf
Basis des Mannheimer Innovationspanels (MIP) untersucht, die zum
gleichen Ergebnis kommt.
Die Auswirkungen der folgenden zwei Faktoren auf die
nationalen empirischen Untersuchungen können jedoch nicht abgeschätzt
werden:
- Verlagerung von Arbeitsprozessen mit geringen Qualifikationsanforderungen
in Drittländer.
- Das durch die Bildungsexpansion der vergangenen Jahre
gestiegene Angebot an höherqualifizierten Arbeitskräften
führt zu einer Art Verdrängungswettbewerb, wobei Arbeitsplätze
mit geringen Qualifikationsanforderungen durch höherqualifizierte
(überqualifizierte) Personen besetzt werden.
3.1.4.Polarisierungsthese
Die Polarisierungsthese stellt die Verbindung zwischen
Degenerierung und Höherqualifikation dar. Hierbei wird davon
ausgegangen, dass sowohl mehr Höherqualifizierte, sowie mehr
Niedrigqualifizierte Jobs, auf Kosten der mittleren Arbeiterschicht,
entstehen.
Diese These wird durch die Untersuchung von Kern/Schumann
(1970) und später Mickler/Dittrich/Neumann (1976) vertreten
und sogar empirisch belegt.
Hierzu wurden die Arbeitsplätze nach Mechanisierungsstufen
unterteilt und anschließend die Art der anfallenden Tätigkeiten
ausgewertet. Hierbei kommt Kern/Schumann zum Schluss, dass selbst
in den höchsten Automatisierungsstufen bis zu 50% in den Bereich
der unqualifizierten Arbeit fällt.
Die Projektgruppe Automation und Qualifikation (PAQ
III 1978) sieht in diesem beobachtbaren Effekt nur eine Art Übergangseffekt,
bis die einfachen Arbeiten ebenfalls automatisiert werden können.
So lässt sich heutzutage diese These nicht mehr empirisch belegen
und legt in der Tat den Schluss nahe, dass es sich bei dem beobachtbaren
Phänomen nur um einen temporären Effekt handelt.
3.1.5. Annäherungsthese
Dies ist die Antithese zur Polarisierungsthese. Einfache
Tätigkeiten gehen durch die Automatisierung zurück und
verlagern sich in die Bereiche Überwachung, Kontrolle und Steuerung,
welche früher von Akademikern besetzt wurden. Somit nähern
sich die Tätigkeitsbereiche einander an.
Die hohe Spezialisierung in vielen Arbeitsbereichen
und das damit verbundene Expertenwissen, sowie die Tätigkeiten
in Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen werden auch in Zukunft
hohe Qualifikationsanforderungen an die Beschäftigten dieser
Bereiche stellen. Eine Annäherung ist derzeit nicht abzusehen.
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